Dieses ist nun also die Schwester des Eintrags vom 25. Mai, wo in preußischer Kleinstarbeit die komplette Planung der Reise im Vorfeld aufgedröselt wurde. Nachdem aus den Vorstellungen, Gedanken, Mutmaßungen und Erwartungen nun 92 Tage handfestes Erleben geworden ist, könnte es von gesteigertem Interesse sein, wie sich denn nun welcher Aspekt der Vorbereitungen konkret eingelöst hat. Ohne jetzt zu sehr ins Details bezüglich unserer zahlreichen Abenteuer gehen zu wollen (dafür gibt es schließlich duzende Blog-Einträge) möchte ich mit einer kleinen Erhebung beginnen.
Wir waren 92 Tage auf kanadischem Boden (ziemlich genau ein Viertel von Baby ToJos bisherigem Leben zu diesem Zeitpunkt).
Wir sind mit JoMo 15.658 Kilometer gefahren (das entspricht etwa 17 Mal der Nord-Süd-Achse Deutschlands).
Wir haben auf 30 offiziellen Campingplätzen übernachtet, 14 mal bei Walmart, 8 mal auf irgendwelchen Parkplätzen, 6 mal in Motels/Hotels/B&Bs, 4 Nächte in einer Airbnb-Ferienwohnung und einmal auf einer Tankstelle.
Wir haben 9 von 10 der kanadischen Provinzen besucht und leider keines der Territorien.
Wir haben 8 der 47 kanadischen Nationalparks erkundet.
Wir haben 2 Schwarzbären (davon ein Junges), einen Elch und keinen einzigen Biber in freier Wildbahn gesehen (dafür diverses Rotwild, Horden von Eichhörnchen und unzählige Vögel).
Wir haben etwa 1/3 mehr Geld ausgegeben als wir eingeplant hatten.
Wir haben jede*r schätzungsweise 1,5 Liter Blut an Moskitos abgetreten (die letzte setzte sich – ungelogen! – beim Betreten des Flugzeugs auf meinem Arm).
Wir haben 2 Flaschen Maple Syrup verbraucht.
Wir wurden jeden Tag mindestens einmal auf unser Auto und/oder unser Baby angesprochen – jedes Mal mit nichts als Verzückung, Respekt und Freude.
Nun folgt ein Abgleich einiger Fragen aus der Vorbereitung mit dem Erlebten.
DIe Punkte VORAUSSETZUNG, VERSCHIFFUNG und VERSICHERUNG können dabei getrost übersprungen werden. Es hat alles hervorragend funktioniert – die dicke Mappe mit allen nötigen Unterlagen blieb bis auf Abholung und Abgabe des JoMos unangetastet. Wir hatten kein einziges Mal auch nur im Entferntesten Kontakt mit der Polizei, wurden nie in irgendeiner Form kontrolliert und wenn man sich das Fahrverhalten der durchschnittlichen kanadischen Bevölkerung ansieht, so scheint es so etwas wie Verkehrskontrollen ohnehin nicht zu geben. Natürlich war es gut und richtig alles nach Vorschrift und Empfehlung gemacht zu haben, aber ob tatsächlich jemals jemand den Kindersitz überprüft hätte … geschenkt.
Kommen wir also zum Thema VERSORGUNG:
Nahrung
Wir hatten nicht damit gerechnet, dass Lebensmittel in Kanada um einiges teurer sind als hierzulande. Das ist natürlich erstmal begrüßenswert, da ja bekannt ist, dass Deutschland mit am Wenigsten für Essen ausgibt (bzw. bereit ist auszugeben), was sich in Qualität und Produktionsbedingungen niederschlägt. Besonders Milchprodukte (und dabei sei bemerkt, dass was der Kanadier z.B. unter "Mozzarella" versteht, einen Italiener sich vermutlich sofort den Strick nehmen lässt) werden wie eine Art Luxusgut gehandelt – zumindest alles, was von der Norm des 2-Kilo-Blocks Cheddar abweicht. Insgesamt waren unsere Einkäufe (hauptsächlich bei Walmart – und das ist schon der discountigste unter den Discountern) immer etwa doppelt so teuer wie ein vergleichbarer Warenkorb in Deutschland.
Glücklicherweise haben wir bei Baby ToJo gar überhaupt nie mit Brei angefangen, so dass sich die Gläschen-Frage (wie schon erwähnt) erübrigt hatte. Und der Campingtoaster sei hiermit absolut empfohlen! Mhm, getostete Bagels mit Cream Cheese und Tomate …
Wasser
Kein Problem, wenn man davon absieht, dass ähnlich wie in den USA das tap water häufig bis an die Grenzen des Genießbaren gechlort ist. Aber das Baby hat's immer mit Wonne getrunken und das ist die Hauptsache.
Diesel
Gibt's entgegen irgendwelcher Foren-Gerüchte natürlich überall. Und die Spritpreise sind wirklich ein Traum! In Alberta z.B. – was eine Öl-Export-Provinz ist – haben stellenweise wir für umgerechnet 0,60 € (!!!) pro Liter getankt. Außerdem ist dieses direkt-mit-Kreditkarte-an-der-Zapfsäule-bezahlen-Prinzip ganz arg praktisch. Spart wirklich unendlich Zeit und man wird nicht verführt, sich noch irgendwelchen überteuerten Quark in der Tanke zu shoppen. Dazu läuft meistens noch Musik durch Außen-Lautsprecher … herrlich.
Strom
War natürlich auch alles halb so wild. Dank Spannungswandler und 12V-Adapter im Auto haben wir die Handys und Macbooks hauptsächlich während der Fahrt aufgeladen, was für unsere Zwecke stets vollkommen ausreichend war. Lediglich 2 oder 3 mal haben wir Elektrizität am Campground genutzt und dort dann einfach (wie geplant) ein langes Verlängerungskabel durch's Fenster geführt. Feddich. Ansonsten haben wir das zusätzliche Geld für den hook-up lieber gespart. Wenn man jetzt mit einem größeren europäischen Wohnmobil reiste, lohnte sich wahrscheinlich doch ein Transformator, aber – wie gesagt – in unserem Fall absolut nicht notwendig.
Gas
Schon interessanter. In Kanada ist es in der Tat Recht und Gesetz, dass nur ein*e Tankwart*in die Auto-Gas-Flaschen auffüllen darf. Es sind exakt diesselben Handgriffe wie hierzulande aber man darf's halt nicht selbst machen. Insofern kurios, als dass keine*r der angetroffenen Tankwart*innen jemals ein europäisches Auto mit unserem Gas-Einbau gesehen und deshalb stets weniger Ahnung von der Befüllung hatte als wir selbst. Und je weiter man sich von den Metropolen entfernt desto ungenauer nehmen's die Menschen mit solcherlei lästigem Regelwerk: Irgendwo im Tiefland von British Columbia sagte mir der Tankwart, ich möge bitte einfach Auffüllen, ein Foto vom Gas-Zählerstand machen und ihm drinnen zeigen – er müsse seinen Shop vor dem Gesindel bewachen. Auch gut.
Internet
Weitere grobe Fehleinschätzung meinerseits: "Kanada hat flächendeckend schnelles Internet, welches an den diversen Hotspots leicht zugänglich ist." Vielleicht ist man intuitiv geneigt, bei allen Staaten außer dem digiphoben "Neuland"-Deutschland von zeitgemäßer Internet-Versorgung auszugehen – doch zeigt sich Kanada hier tatsächlich maximal als Schwellenland. Wenn es denn WIFI gibt, hat man zu 90% das Gefühl hat, man greift auf ein 56k-Modem von anno '92 zu, das im vollverbleiten Hobby-Keller eines frühpensionierten Familienvaters bei Brümsel im Emsland steht, während man in Osnabrück versucht, eine Website aufzurufen. Nicht mal bei Walmart oder McDonald's bekommt man eine stabile Verbindung hin und die einzige wirklich verlässliche WIFI-Quelle bietet der imperlialistische Kaffee-Laden aus der Hölle mit der busenlosen Meerjungfrau im Logo.
Den WLAN-Router hätten wir auch getrost daheim lassen können, denn das erste Gigabyte (60 €) war selbstverständlich nach ungefähr 2 Tagen aufgebraucht und wenn wir die SIM-Karte jedes Mal neu aufgeladen hätten, wären wir zum Ende der Reise bei der stattlichen Summe von 2.760 € für's Internet angekommen.
"Hä? Aber warum habt Ihr überhaupt so viel Internet gebraucht? Ich dachte, Ihr wolltet so Natur und Wildnis und so machen … wech vom Tech!"
Ja-haha! Die Erklärung folgt wie folgt im folgenden vorgezogenen Punkt …
Übernachten
Schlussendlich haben wir betreffs Schlafgelegenheiten mit 4 verschiedenen Apps operiert: WikiCamps, Allstays ONP Walmart, Allstays Camp & RV und iOverlander. Es ist bisher nämlich noch niemandem gelungen die mannigfaltigen Campingmöglichkeiten Kanadas in eine einzige übersichtliche, intuitive, zuverlässig aktualisierte (!) Applikation zu gießen. Die Verbindung der vier genannten Produkte ergibt einen ganz passablen Output, wobei wir trotzdem auch einfach zufällig auf Plätze gestoßen sind, die nirgendwo verzeichnet gewesen waren. Es ist mir ein absolutes Rätsel, wieso sich bei diesem Land, wo Du stellenweise auf der Straße blind irgendwo hin spucken kannst und immer einen Wohnwagen, RV, Camper oder Bus triffst, noch niemand dieses Problems angenommen hat.
Jedenfalls zeigen sich die Offline-Features der genannten Programme mangelhaft bis ungenügend, so dass wir doch recht häufig auf Internet angewiesen waren, um etwas über die nächsten möglichen Schlafplätze herauszufinden – von den notwendigen Reservierungen für die National Parks mal ganz abgesehen. Und dann gab es ja noch dieses Blog, das unbedingt geschrieben werden wollte …
Ansonsten versteht sich von selbst, dass es ungefähr so viele Arten von Campingplätzen gibt wie Vorstellungen von einem "richtig guten Kaffee". Spannender Teil des Tages war stets, trotz mancher Beschreibungen in den Apps, meistens nicht genau zu wissen, was uns nun wirklich auf dem jeweiligen Platz erwarten würde. Man lernt sehr schnell dass "clean facilities", "strong wifi" oder "nice location" äußerst dehnbare Begriffe sind. Insgesamt fanden wir die Campgrounds der National Parks in jedem Fall am tollsten. Beinahe jeder hatte seinen ganz eigenen Charme in Sachen Einbettung in die vorhandene Naturumgebung, Sauberkeit und Infrastruktur waren tadellos und der Parks Canada Staff ist wirklich ausnehmend freundlich. Wo es ging haben wir die großen Campgrounds gemieden und zugunsten von Ambiente und noch mehr Natur auf Toiletten mit Wasserspülung verzichtet. Gute Entscheidung!
Vielleicht noch ein Satz zum Thema "Motels". Wir sind ja einige Male aus diversen Gründen auf Motels ausgewichen und hier lebt auch Kanada (wie die guten alten US of A) mal wieder sein eigenes Klischee. Wenn man weniger als $100 bezahlt, findet man sich immer in einer filmreifen Absteige wieder und es ist kein schöner Film. Der Unterschied zwischen einem "Inn" für $130 und einem "Motel" für $80 ist eine Klimaanlage, die nicht das Gefühl vermittelt auf dem Rollfeld eines Großraumflughafens zu schlafen, ein Bett, dessen Matratzen-Anteil den der Stahlfedern noch übersteigt, Wände, die zumindest etwas dicker sind als Butterbrotpapier, eine Einrichtung aus diesem Jahrtausend und ein Schwellenwert an Sauberkeit und Hygiene, bei dem man nicht als erstes "Augen zu und durch" denkt. Beim ersten Mal ist es noch Abenteuer. Dann wird es bäh.
Auto-Reperatur
Die heldenhafte Instandsetzung der durch einen an dieser Stelle nicht weiter zu benennenden Teil der Reisegruppe kaputt gefahrenen Hecktür bei Randall's Auto Body wurde ja an anderer Stelle bereits hinreichend beschrieben. Ansonsten waren wir in der komfortablen Situation, dass dem Auto nichts, aber auch rein gar nichts widerfahren ist. Nicht mal einen Reifen mussten wir wechseln. Hin und wieder gab es Kommentare von Menschen, die uns auf JoMo angesprochen haben, dass wir im Ernstfall für so ein Modell im ganzen Land ja kein dealership und auch sonst nichts dergleichen finden würden. Insofern haben wir wohl wirklich einen (gelben?) Schutzengel gehabt – wobei ich nach unseren Erlebnissen beinahe sicher bin, dass wir bei einer ernstlichen Panne irgendeine*n kanadische*n mechanic gefunden hätten, die/der alles menschenmögliche improvisiert hätte um uns zu helfen.
So endet nun dieses Blog vorerst. Eventuell füllen wir es noch mit weiteren Berichten und Bildern auf um den Eindruck zu komplettieren. Neben unserem eigenen (öffentlichen) Tagebuch ist es tatsächlich auch als kleines Nachschlagewerk für Kanada-Reisende gedacht, die vielleicht ebenfalls mit eigenem Wohnmobil und Baby auf eine längere Tour gehen wollen. Bei weiteren Fragen, schreibt uns gerne eine Nachricht, eh!
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Jo (Sonntag, 09 September 2018 22:33)
❤️